•      29.05.2024 

Christliches Menschenbild – Was ist das?

in Papier gerissenes Kreuz

„Rechtsextremes Gedankengut ist mit dem christlichen Menschenbild und christlichen Werten nicht vereinbar.“ So wird oft argumentiert, wenn es um die Frage geht: Können Christinnen und Christen Parteien wählen, die rechtsextreme Positionen vertreten? Was das christliche Menschenbild ausmacht und woraus es abgeleitet wird, erklärt der badische Theologe und Oberkirchenrat Matthias Kreplin im Interview.
Gesellschaftliche Fragen hat er stets im Blick. Dr. Matthias Kreplin leitet für die Evangelische Landeskirche in Baden das Referat „Verkündigung in Gemeinde und Gesellschaft“. Die Kirchen rufen in diesen Tagen dazu auf, bei der Europa- und Kommunalwahl im Juni vom Wahlrecht Gebrauch zu machen. Für Matthias Kreplin ist es auch Aufgabe der Kirche „deutlich zu machen, wie bestimmte rechtspopulistische Positionen dem christlichen Menschenbild und christlichen Werten widersprechen.“

Herr Kreplin, wie kann man das christliche Menschenbild beschreiben?
Matthias Kreplin: Der christliche Glaube versteht jeden Menschen als Ebenbild Gottes, als von Gott geliebt und geachtet. Jeder Mensch hat damit eine unverlierbare Würde. Damit werden alle Unterschiede zwischen Menschen, wie zum Beispiel Herkunft, Abstammung, soziale Stellung, Einkünfte oder Fähigkeiten, relativiert. Dieses Menschenbild nimmt auch besonders Menschen in Schutz, die schwach sind. Selbst durch verwerfliche Taten kann ein Mensch seine Menschenwürde nicht verlieren. Zu behaupten, dass Fremden, Flüchtlingen oder Menschen anderer Abstammung Menschenrechte nicht gleichermaßen zustehen wie Einheimischen, widerspricht diesem Menschenbild eindeutig.

Woraus wird das christliche Menschenbild abgeleitet? Gibt es zentrale Bibelstellen?
Matthias Kreplin: Eine zentrale Bibelstelle begegnet uns gleich in der Schöpfungsgeschichte: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ (1.Mose 1,27) Diese Gottesebenbildlichkeit verleiht dem Menschen eine besondere Würde und Stellung in der ganzen Schöpfung. Das hält auch Psalm 8 fest.
Im Neuen Testament wird die Sendung Jesu als Zeichen der Liebe Gottes zur ganzen Welt und zu allen Menschen verstanden, gerade auch zu den Menschen, die sich von Gott abgewendet haben. Dafür stehen Bibelstellen wie zum Beispiel Johannes 3,16 oder Römer 5,8. Darum sind vor Gott alle Menschen gleich, weil sie alle der Erlösung bedürfen und weil Gott sich gleichermaßen allen zuwendet (Römer 3,23).
Zugleich wird den Menschen zugetraut, dass sich in ihnen und ihrem Verhalten Gottes Liebe spiegelt.

In gesellschaftspolitischen Diskussionen ist auch oft von „christlichen Werten“ die Rede. Was sind christliche Werte und woraus ergeben sie sich?
Matthias Kreplin: Christliche Werte sind Grundhaltungen, die sich dann im konkreten Tun äußern. Sie leiten sich aus einzelnen Geboten ab und werden immer wieder durch exemplarische Geschichten veranschaulicht. Durch die ganze Bibel zieht sich die Grundhaltung der Nächstenliebe, die Jesus dann sogar für die Feinde fordert. Dazu gehört auch die Bereitschaft zur Vergebung und zur Versöhnung.
Eine weitere christliche Tugend – so ein anderer Begriff für christliche Werte – ist die Solidarität mit den Schwachen und denen, die am Rande stehen. Schon im Alten Testament wird der besondere Schutz von Witwen und Waisen, aber auch von Fremden und Ausländern gefordert.
Gerade die, die am Rande stehen, holt Jesus in die Mitte und sorgt dafür, dass sie Teil der Gemeinschaft sind und nicht ausgegrenzt werden.
Ein egoistisches Leben auf Kosten anderer widerspricht dagegen dem Liebesgebot der Bibel. Das greift auch dort, wo jetzige Generationen auf Kosten zukünftiger leben, weil sie durch ihren Lebensstil die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen gefährden.

Warum gibt es dennoch auch in christlichen Kreisen eine Empfänglichkeit für Parolen von rechts?
Matthias Kreplin: In manchen christlichen Kreisen erlebt man die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, die durch Pluralisierung, Individualisierung und Säkularisierung gekennzeichnet ist, als einen Verlust christlicher Werte. In einer hoch individualisierten Gesellschaft ist Gemeinschaft und Zusammenhalt oft nicht mehr spürbar. Das Zurücktreten allgemein-gültiger Normen gegenüber den gewachsenen Möglichkeiten, selbst über das eigene Leben zu bestimmen, schafft auch Verunsicherung. Rechte Parolen beschwören oft eine vermeintlich bessere Vergangenheit, die wieder hergestellt werden soll. Durch Abwehr von allem Fremdartigem soll wieder mehr Gemeinschaft entstehen. Das klingt attraktiv, verkennt aber, dass auf diese Weise Menschen zu Opfern von Ausgrenzung werden – besonders diejenigen, die nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehören.

Worin sehen Sie die Aufgabe der Kirche im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus?
Matthias Kreplin: Kirche muss sich immer an die Seite der Schwachen stellen. So nimmt sie Gottes Eintreten für die Schwachen auf. Sie muss sich einsetzen für Kranke und Behinderte, für Fremde und Flüchtlinge, für Menschen, die einer Minderheit angehören, für Menschen, die am Rande stehen und diskriminiert und benachteiligt werden. Am besten tut Kirche dies, indem sie Orte schafft, wo Menschen über Grenzen hinweg Gemeinschaft erleben: Kranke und Gesunde, Menschen mit und ohne Einschränkungen, Einheimische und Fremde, Menschen verschiedener sexueller Orientierung. Gelebte Solidarität mit den Schwachen ist die Grundlage auch des politischen Eintretens für Vielfalt und Zusammenhalt über Grenzen hinweg.

Das Interview führte Monika Hauzinger auf ekiba.de



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